Zweitägige AGFK-Exkursion in die Eurometropole Straßburg

14. Oktober 2025 – Seit 2017 bietet die AGFK Bayern ihren Mitgliedskommunen alle zwei Jahre eine Großexkursion ins Ausland an. Nach Amsterdam, Kopenhagen und Bozen / Brixen führte die Reise 2025 mit insgesamt 29 Teilnehmenden ins elsässische Straßburg. Den Exkursionszeitraum 7. bis 8. Oktober wählte die AGFK Bayern bewusst, da in dieser Zeit eine der zwölf jährlichen Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments stattfand und die Reisegruppe nicht nur die Radverkehrspolitik der Eurometropole Straßburg erfahren konnte, sondern auch Gelegenheit hatte, die Arbeit der bayerischen EU-Abgeordneten Prof. Dr. Angelika Niebler kennenzulernen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion im Gebäude des Europäischen Parlaments; in der Mitte Prof. Dr. Angelika Niebler, rechts davon der AGFK-Vorsitzende, Landrat Robert Niedergesäß, links davon Holger Schmidt, stv. Geschäftsführer der AGFK Bayern. Foto: ©Philipp Gerdau/Büro Prof. Dr. A. Niebler

Eurometropole Straßburg: Vorreiter für Radverkehrspolitik

Die Eurometropole Straßburg umfasst neben der Stadt Straßburg 33 Gemeinden. Insgesamt leben in der Region rund eine halbe Million Menschen. Die einzelnen Verwaltungen und die der Stadt Straßburg wurden 1972 in der Stadt Straßburg zusammengeführt. Nur wenige Jahre später begann Straßburg, eine konsequent nachhaltige Mobilitätspolitik zu verfolgen, die auf die Dekarbonisierung, die Verkehrsberuhigung und die gerechte Neuverteilung des öffentlichen Raums abzielt. Mittlerweile weist der Ballungsraum Straßburg mit 600 Kilometer Fahrradwegen das größte Fahrradnetzwerk Frankreichs auf.

Vereine und Initiativen am Erfolg beteiligt

Dass die Zahl der Radfahrenden in Straßburg stetig wächst, ist auch den zahlreichen Vereinen und Initiativen zu verdanken, die sich für die Förderung des Radverkehrs einsetzen, darunter die Fédération des Usagers de la Bicyclette (FUB). Sie ist der Dachverband für rund 600 Vereine in ganz Frankreich und wurde 1980 gegründet. Am Vormittag des ersten Exkursionstages, 7. Oktober, hatte die FUB zu zwei Vorträgen ins Seminarzentrum „Ciarus“ unweit des Verbandssitzes eingeladen.

Zuvor wurden die Teilnehmenden – darunter Bürgermeister, Gemeinderäte, Radverkehrsbeauftragte und Planungsverantwortliche im Mobilitätssektor – in der Unterkunft direkt am Hauptbahnhof, dem Le Grand Hotel, vom AGFK-Vorsitzenden Landrat Robert Niedergesäß, Birgit Zehetmaier vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr sowie dem stellvertretenden Geschäftsführer der AGFK Bayern, Holger Schmidt, begrüßt. Im Anschluss daran führte Léo Schalck von der Straßburger Agentur „Alsa Cyclo Tours“ die Delegation zum Sitz der Agentur, wo E-Bikes für jeden bereitstanden.

Auf der Fahrt durch die Innenstadt Straßburgs zum „Ciarus“ in der rue Finkmatt erhielten die Teilnehmenden einen ersten Eindruck von Shared Spaces, Teilstücken des noch nicht fertiggestellten Fahrradrings und anderen Mobilitätselementen. Doch dazu später mehr.

Die FUB stellt sich vor

Die FUB versteht sich als zentraler Akteur im französischen Ökosystem der Fahrradförderung und -mobilität. Sie initiiert und steuert zahlreiche Programme, die den Radverkehr als umweltfreundliches, gesundes und wirtschaftliches Verkehrsmittel etablieren sollen. „Wir haben Fahrradschulen aufgebaut, finanzieren pädagogische Maßnahmen zum Erlernen des Fahrradfahrens für Kinder und fördern Betriebliches Mobilitätsmanagement (BMM) in Unternehmen, um nur einige Punkte aufzuzählen“, sagte Arthur Janus, seit gut fünf Jahren Mitarbeiter der FUB, einleitend zu seinen Vorträgen.

Der erste Vortrag beleuchtete das zentrale Leuchtturmprojekt der FUB, das OEPV-Programm („Objectif Employeur Pro Vélo“). Es hat zum Ziel, Arbeitgeber und -nehmer für einen Umstieg aufs Fahrrad zu gewinnen und sie bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen zu begleiten. Und so funktioniert es: Unternehmen registrieren sich und können dann einzelne Bausteine kaufen, zum Beispiel Schulungen zum täglichen Fahrradgebrauch, Wartungs- und Reparaturdienstleistungen, Beratung und strategische Begleitung. Je nach Unternehmensgröße werden die Kosten bis zu 60 Prozent kofinanziert, in Höhe von 4.000 bis 12.000 € pro Standort. „Den Fahrradkauf unterstützen wir nicht“, räumte Janus ein.

Das zugehörige Label „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“ basiert auf einem detaillierten Kriterienkatalog und dient dazu, das Engagement eines Unternehmens für nachhaltige Mobilität sichtbar zu machen und gleichzeitig Anreize zur Verbesserung der Radinfrastruktur und -kultur zu bieten. Bis Ende Januar 2024 hatte das nationale OEPV-Programm über 3.000 registrierte Arbeitgeber mit insgesamt 1,1 Millionen Beschäftigten erreicht. Über 200 Arbeitgeber wurden bereits zertifiziert und melden deutliche Erfolge.

Ende 2025 endet das Programm, eine Verlängerung ist davon abhängig, ob genügend Gelder dafür zur Verfügung stehen.

Weltweit größte Bürgerbefragung

Neben OEPV spielt auch das „Baromètre des Villes Cyclables“ eine wichtige Rolle. Diese nationale Befragung misst die Fahrradfreundlichkeit französischer Städte und wurde seit 2017 bereits viermal durchgeführt, in der Regel im Vorfeld der nächsten Kommunalwahlen, um das Thema Fahrrad in die öffentlichen Debatten zu bringen. Mit über 277.000 Teilnahmen ist es die größte Bürgerbefragung zur Radfahrfreundlichkeit von Kommunen weltweit. Das Instrument dient der politischen Steuerung und ermöglicht es, Fortschritte in der Radverkehrsförderung sichtbar zu machen und Standorte, die verbesserungswürdig sind. Es prämiert besonders engagierte Kommunen mit dem „Goldenen Lenker“, während Defizite symbolisch mit dem „Rostigen Nagel“ ausgezeichnet werden.

Nach einer Mittagspause fuhr die AGFK-Delegation zur Mediathek Malraux am Place Dauphine, wo sie von den Mobilitätsexpertinnen der Stadt Straßburg Noémie Meyer, Beauftragte für Fahrradthemen in der Direktion Mobilität, und Cécile Le Quesne, Leiterin der Stabstelle Promotion und Entwicklung der Mobilitätsangebote, Mobilitätsdirektion der Eurometropole Strasbourg, empfangen wurde. Ihre Ausführungen wurden von dem von der AGFK Bayern beauftragten Dolmetscher François Morel-Fourrier simultan übersetzt.

Von links: Cécile Le Quesne, François Morel-Fourrier und Noémie Meyer vor der Mediathek Malraux

Mobilitätsstrategie der Stadt Straßburg

Die Mobilitätsstrategie der Stadt ruht auf mehreren Säulen: dem Ausbau des Radwegenetzes, der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, der Förderung des Fußverkehrs, der Einführung eines regionalen Schnellbahnnetzes („Réseau express métropolitain“), einer neuen Parkraumpolitik zur Rückgewinnung öffentlicher Flächen sowie der Entwicklung digitaler Mobilitätsdienste nach dem Prinzip „Mobility as a Service“. Grundlage ist der Mobilitätsplan „La Révolution des Mobilités“, der von 2020 bis 2027 Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro vorsieht, 100 Millionen davon allein für den Radverkehr. Unter anderem entstehen 500 neue Fahrradabstellplätze und mehrere neue Brücken werden bis 2027 errichtet, um Stadtteile besser zu verbinden und das Netz zu verdichten.

Ein Blick in die historische Entwicklung zeigt, dass Straßburg in Frankreich als Pionierin moderner, nachhaltiger Mobilitätspolitik gilt. „Als wir 1973 die erste Fußgängerzone im Zentrum einrichteten, war das eine Revolution“, erzählte Noémie Meyer. 1978 folgte das erste Radverkehrskonzept und damit die Etablierung des Fahrrads als Alltagsfortbewegungsmittel. Ein großer Meilenstein in der Mobilitätspolitik war die Wiedereinführung der Tram 1994, deren Netz stetig ausgebaut wird. „Es geht darum, Alternativen zum Auto anzubieten und den Umstieg auf die verschiedenen Verkehrsmittel so leicht wie möglich zu machen“, so Meyer. Diese Verkehrspolitik wurde in den letzten Jahren auch auf das Umland ausgeweitet durch Park-and-Ride-Anlagen, multimodale Umsteigemöglichkeiten, sichere Radwege und mehr.

Die Radverkehrspolitik ist und bleibt dabei ein zentrales Element der Mobilitätswende. Hauptziele der Fahrradstrategie sind die Schaffung sicherer Räume für Radfahrende, die Vermeidung von Konflikten unter den Verkehrsteilnehmenden, die Erweiterung und Vernetzung des bestehenden Radwegenetzes in die Randgemeinden und die Modernisierung bestehender Infrastruktur.

Nach dem theoretischen Teil startete die Gruppe zusammen mit den beiden Mobilitätsexpertinnen und dem Dolmetscher zu einer Radtour durch die Innenstadt. Dabei wurde deutlich: Konflikte zwischen Radfahrenden sowie Fußgängerinnen und Fußgängern ist ein großes Thema in Straßburg. Auf einer Vorfahrtsstraße für Fahrräder fuhr die Gruppe zu einem gelungenen Beispiel für die Umgestaltung von öffentlichem Raum. Ein begrüntes Dreieck spaltet die Straße auf in eine Spur für Kfz und einen Radweg, auf dem für zirka 100 Meter auch zu Fuß gegangen werden darf – eine sogenannte Begegnungszone. „Die Radfahrenden müssen hier Schritttempo fahren“, sagte Meyer.

Ein prominentes Projekt, das laut der Expertinnen viele Konflikte entschärfen wird, ist der sogenannte City-Ring. Der rund vier Kilometer lange Radweg um die Innenstadt wird für sieben Millionen Euro realisiert. „Durch entsprechende Beschilderungen versuchen wir, die Radfahrenden auf den Ring zu lotsen“, erklärte Le Quesne.

Einen weiteren Begegnungsraum bekam die Reisegruppe an der Ecke Rue des Clarisses / Quai Schöpflin zu sehen. Eine Kfz-Fahrspur in eine Richtung und ein Zweirichtungsradweg sind dort durch Kfz-Stellplätze in der Mitte getrennt. Für die Umgestaltung des Ring-Teilstücks mussten die Gelenkbusse, die dort einst fuhren, umgeleitet werden.

Eine weitere Station auf der Radtour war eine ehemals vierspurige Verkehrsstraße entlang des größten Einkaufszentrums Straßburgs inklusive Tunnel Richtung stadtauswärts, die nun nur noch drei Spuren aufweist, davon eine Busspur, sowie einen Zweirichtungsradweg.

Service wichtiger Baustein in der Radverkehrspolitik

Aber: „Eine gute Infrastruktur reicht nicht aus. Wir müssen auch für ein Umdenken in der Bevölkerung sorgen und den Autofahrenden nicht nur wegnehmen, sondern alternative Angebote für sie schaffen“, betonte Cécile Le Quesne. Daher arbeitet die Stadt mit einer privaten Agentur sowie Vereinen zusammen. „Das ist gut, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihre Bedürfnisse zu erfahren“, so Le Quesne.

Ein zentraler Baustein ist das öffentliche Fahrradverleihsystem „Vélhop“, das mit rund 6.000 Fahrrädern – vom E-Bike bis zum Lastenrad (insgesamt über 20 verschiedene Fahrradtypen) – ein breites Angebot für unterschiedliche Zielgruppen bietet. Parallel dazu verfolgt die Stadt eine ambitionierte Fahrradparkstrategie mit rund 70.000 Stellplätzen in der Eurométropole. Neben großen Parkhäusern und Abstellanlagen an Bahnhöfen und Tramstationen entstehen zahlreiche zusätzliche Abstellmöglichkeiten im öffentlichen Raum, etwa eigens mit dem Hersteller entwickelte Abstellbügel für Lastenräder vor der Tanz- und Musikschule.

Mit einer Besichtigung des unterirdischen Fahrrad-Parkhauses am Hauptbahnhof endete die Fahrradtour sowie der erste Exkursionstag und die Gruppe brachte die geliehenen E-Bikes zurück.

Zweiter Tag: Besuch im Europaparlament

Für den Vormittag des 8. Oktober war ein Gesprächstermin mit der bayerischen Europaabgeordneten Prof. Dr. Angelika Niebler im Gebäude des Europarlaments anberaumt. Die Politikerin kam aus einer laufenden Debatte im Plenarsaal über den Umgang mit russischen Drohnen im europäischen Luftraum, bei der die bayerische Delegation im Anschluss an das Gespräch noch einige Minuten zuhören durfte. „Das ist unser wichtigstes Thema zurzeit, dennoch müssen wir uns auch mit Fragen befassen wie: Muss der Veggie-Burger umbenannt werden, weil mit Burger ein fleischliches Produkt assoziiert wird? Sie sehen also, unsere Themenbandbreite ist groß“, sagte Niebler lächelnd. Das Fahrrad als emissionsfreies Verkehrsmittel gehöre ebenso dazu, die EU fördere den Radverkehr mit verschiedenen Programmen. Und 2024 wurde die Europäische Erklärung zum Radverkehr verabschiedet.

Foto: ©Philipp Gerdau/Büro Prof. Dr. A. Niebler

Aufgrund der knappen Zeit beantwortete die Europaabgeordnete die vorbereiteten Fragen der Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer im Nachgang schriftlich. Das Dokument kann hier gelesen werden.

Nach diesem spannenden Einblick in die EU-Politik begab sich die Gruppe per Trambahn in die Straßburger Innenstadt, diesmal wieder geführt von Lèo Schalck von Alsa Cyclo Tours. Vor der imposanten Kulisse des Straßburger Münster erzählte er kurz Wissenswertes zur Stadtgeschichte, danach stärkten sich alle mit Elsässer Flammkuchen für die bevorstehende Fußexkursion mit Joanne Hirtzel, Dozentin an der geografischen Fakultät der Universität Straßburg und verantwortlich für den Studiengang „Geografie und Raumplanung“.

Die Gruppe, begleitet von Lèo Schalck (3. v. re.), vor dem Straßburger Münster

Öffentlichen Raum gerecht verteilen

Ihr Schwerpunkt liegt auf partizipativer Forschung im Bereich Mobilität. So war sie Mitverantwortliche für das Projekt „CartoVelo“, eine partizipative Diagnose der Fahrradinfrastruktur in Straßburg in Zusammenarbeit mit der Eurometropole Straßburg und CADR67, die 2024 abgeschlossen wurde. Nachfolgerprojekt ist „Co-Move“ – Aktive Mobilitäten in Einklang bringen. Es untersucht Interaktionen zwischen zu Fuß Gehenden und Radfahrenden und dem öffentlichen Raum in der Stadt. „Wir vergleichen die Indikatoren wie Infrastruktur und örtliche Gegebenheiten mit der Zufriedenheit der Menschen“, erklärt Hirtzel. Ein Beispiel: „Im Zentrum fühlen sich die Radfahrenden trotz fehlender Autos nicht wohl. Gründe hierfür sind unter anderen viele unberechenbare Fußgängerinnen und Fußgänger und Kopfsteinpflaster.“ Diese Erkenntnis führte zum Bau des City-Rings.

Ein Stück weiter, auf einem großen Platz, wurde ein Radweg parallel zu Trambahngleisen gebaut. „Die Sichtachsen sind gut, der Raum ist klar aufgeteilt, die Strukturen sind lange bekannt – alles in allem vermeintlich eine gute Sache für den Radverkehr. Doch immer wieder blockieren Touristen den Weg und zwingen die Radelnden, auf der Straße zu fahren“, erläutert die Wissenschaftlerin. Über Umfragen und Bürgerbeteiligungen versuchen die Forschenden, Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten zufriedenstellend sind. „Bestimmte Elemente funktionieren immer, etwa eine sichere Radinfrastruktur und wenige bis keine Autos. Alles andere sind Variablen, die von vielen Faktoren abhängen, zum Beispiel der Topografie oder der Größe einer Stadt“, sagte Hirtzel. Fazit: Die Qualität des Radverkehrs lässt sich nicht an den Kilometern der Radwege ablesen.

Radweg parallel zu Trambahngleisen

Wieder im Le Grand Hotel angelangt, bedankte sich der AGFK-Vorsitzende, Landrat Robert Niedergesäß, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihr Kommen und verabschiedete sie mit den Worten: „Ich wünsche uns allen, dass wir diese spannenden Eindrücke und Inspirationen in unsere Arbeit aufnehmen können!“

Die Präsentationen zu den Vorträgen finden Mitgliedskommunen im internen Service-Bereich (Login erforderlich!)

(Text: AGFK Bayern/Sybille Föll; Fotos – soweit nicht anders angegeben: ©AGFK Bayern)