27. November 2024 – Zum fünften Mal fand in diesem Jahr die AGFK Planungswerkstatt statt, wie auch im Jahr zuvor im Pallotti-Haus in Freising. 33 Teilnehmende trafen sich dort am 13. und 14. November, um komplexe Planfälle zusammen mit Kolleginnen und Kollegen sowie einem dreiköpfigen Experten-Team zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, auf deren Basis die weitere Planung der Radinfrastruktur vorangetrieben werden kann. Die Expertinnen und Experten waren in diesem Jahr Pia Lesch von der Dortmunder Planersocietät Frehn Steinberg Partner GmbH, Andreas Bergmann, Gesellschafter der Münchner Planungsgesellschaft Stadt Land Verkehr GmbH, und Detlev Gündel von der PGV-Alrutz GbR in Hannover. Zur weiteren fachlichen Unterstützung war auch Birgit Zehetmaier vom Referat 67 im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr gekommen.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatten AGFK-Mitgliedskommunen ihre Planfälle eingereicht, von denen sechs ausgewählt wurden: aus den Städten Freising, Lindau und Neu-Ulm, aus den Gemeinden Uttenreuth und Pullach sowie aus dem Landkreis Eichstätt. Sie zeigten, dass vielerorts eine sichere Radinfrastruktur nicht nach allgemeingültigen Regeln umgesetzt werden kann, sondern individuelle Lösungen gefunden werden müssen. Hierfür ist die AGFK Planungswerkstatt ein ideales Forum.
Start mit Fahrradexkursion durch Freising
Das zeigten auch der Freisinger Mobilitätsbeauftragte Dominik Fuchs und seine Kollegin, die Radverkehrsplanerin Clara Siebel, bei der Fahrradexkursion durch die Gastgeberkommune, mit der die Planungswerkstatt eingeläutet wurde. Der erste Stopp war die Mainburger Straße, die die Stadt Freising bei der Planungswerkstatt 2023 mit den damaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bearbeitet hatte.
Durch die Fertigstellung von Umfahrungen für den Kfz-Verkehr gibt es nun insgesamt über 8.000 Kfz pro Tag weniger an dieser Stelle und der politische Wille wurde gestärkt, Platz für Rad- und Fußverkehr zu schaffen. Zusätzlich konnte die Isarbrücke als Weiterführung der Mainburger Straße bereits radverkehrsfreundlich im Rahmen des Förderprojekts „Stadt und Land“ umgebaut werden. In einem Grundsatzbeschluss wurde dabei festgehalten, dass eine Spur durchgehend zwischen der Alois-Steinecker-Straße und der Isarstraße entfallen kann. Diese wird künftig zu einem breiten Schutzstreifen – in den Konfliktbereichen rot markiert – umgebaut, voraussichtlich 2025.
Auch für eine weitere Konfliktstelle laufen bereits die Planungen, angelehnt an die Lösungsvorschläge, die in der AGFK Planungswerkstatt 2023 erarbeitet worden waren. „Die Ergebnisse aus dem Forum haben uns bei der Argumentation gegenüber der Politik sehr geholfen“, resümierte Fuchs.
Fachvorträge zu Problematiken in Planfällen
Zurück im Pallotti-Haus versammelten sich alle Teilnehmenden in der großen Aula, um nach der Begrüßung durch Gregor Hys von der Geschäftsstelle der AGFK Bayern aus den Fachvorträgen des Experten-Teams Anregungen für ihre Planfälle zu erhalten. Pia Lesch widmete sich dem Thema „Radverkehrsförderung in Ortsmitten“. Die Ortsmitte sei das Aushängeschild einer Kommune und habe eine gesellschaftliche Relevanz, so die Expertin. Daher müsse bei der Gestaltung der Mensch in den Fokus rücken, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen er sich fortbewegt, vom Zufußgehenden bis zum Radfahrenden. „Eine Frage, die Sie sich stellen sollten: Können gemeinsame Flächen angeboten werden?“, regte Lesch an. Im Fokus ihres Vortrags standen verschiedene Maßnahmenmöglichkeiten zur Anpassung von Geschwindigkeiten auf Fahrbahnen, etwa verkehrsberuhigte Bereiche mit Querungen für den Fußverkehr oder optischen Elementen wie einer Aufpflasterung in der gleichen Farbe wie der Gehsteig. Ihr Appell: „Wo immer es geht, die Geschwindigkeit für den Kfz-Verkehr von 50 km/h auf 30 km/h reduzieren, denn Sicherheit geht vor!“
Andreas Bergmann ging in seinem Vortrag auf „Mini-Kreisverkehre als Element in Fahrradstraßen“ ein. Bei einem Durchmesser von 13 bis 22 Metern seien sie für Straßen mit Verkehrsstärken bis zu 12.000 Kfz pro Tag und Knotenpunkte im Erschließungs- und Hauptverkehrsstraßennetz geeignet. Vorteile: Mini-Kreisverkehre sorgen unter anderem für eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit und sind kostengünstig in der Herstellung. Für eine sichere Gestaltung müssten allerdings kontrastreiche Materialien verwendet werden, „außerdem dürfen sie nicht an Ortseinfahrten und in Kurven liegen“, so der Experte.
Nach den beiden Fachvorträgen stellten die AGFK-Mitgliedskommunen ihre Planfälle vor, bevor Detlev Gündel über „Radverkehrsführung an Lichtsignalanlagen an komplexen Knotenpunkten innerorts“ referierte. Er gab eine Übersicht möglicher Maßnahmen an Knotenpunkten und erläuterte Konfliktsituationen sowie deren Lösungen. Beim Ausklang des ersten Tages im Kellerstüberl des Hauses wurde zu seinem und anderen Radverkehrsthemen eifrig diskutiert.
Gute Lösungen dank Schwarmintelligenz
Am zweiten Tag der Planungswerkstatt ging es in Kleingruppen mit der Bearbeitung der Planfälle weiter. Gündels Vortrag war für die Stadt Freising besonders interessant. Die Gastgeberkommune hatte in diesem Jahr erneut einen Planfall eingereicht, diesmal ging es um die Umgestaltung der Bahnhofskreuzung für einen sicheren Rad- und Fußverkehr – durch die Komplexität der Verkehrsströme aus verschiedenen Richtungen und dem hohen Schwerlastaufkommen auf der Hauptachse zwischen Bahnhof und Innenstadt keine leichte Aufgabe. Die Lösungsvarianten sehen unter anderem eine Fahrradschleuse für Linksabbieger in der Münchner Straße sowie einen aufgeweiteten Radaufstellstreifen (ARAS) in der Bahnhofstraße vor – laut Gündel, der auch Mitglied der Arbeitsgruppe zur nächsten Ausgabe der ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) ist, eine Standard-Lösung für Nebenstraßen mit langen Ampel-Rotphasen. Für die Überquerung der Einmündung Bahnhofplatz in die Hauptverkehrsachse hielt Andreas Bergmann diese Lösung für attraktiv: Eine eigene Radverkehrsampel, die vor dem Lichtzeichen für den Kfz-Verkehr grün wird.
Die Gemeinde Uttenreuth möchte für eine stark genutzte Fahrrad-Schülerachse eine Fahrradstraße errichten. Die Herausforderungen schilderte die Radverkehrsbeauftragte Esther Schuck: „Eine sichere Radverkehrsführung im Übergangsbereich zur Staatsstraße 2240, die Erhaltung einer Grünfläche am Rathaus und die Verkehrsführung der Radfahrenden im Bereich der Staatsstraße.“ Zusammengefasst kamen die Gruppenmitglieder und das Experten-Team zu der Empfehlung, die Fahrradstraße generell nach dem Musterblatt der AGFK Bayern zu errichten und sie nicht bis zur Staatsstraße zu führen, sondern nur bis zur letzten Straßenabzweigung und stattdessen die letzten Meter in eine Tempo-30-Zone umzuwandeln. Damit die Schülerinnen und Schüler nicht die Staatsstraße überqueren müssen, könnte ein gemeinsamer Fuß- und Radweg in beiden Richtungen die Lösung sein.
Um die Anbindung einer „Fahrradstraße Stadtmitte“ an Radhauptverbindungen geht es in der Großen Kreisstadt Neu-Ulm, den Planfall stellte der Radverkehrsbeauftragte Thomas Gems vor. Eine der Hürden bei den Planungen ist die Straßenverengung in einer Bahnunterführung auf 14,5 Meter. Zwei Lösungsvarianten wurden erarbeitet: Ein beidseits gemeinsamer Geh- und Radweg mit je 3,25 Meter Breite, dazwischen bliebe eine sechs Meter breite Fahrbahn. Alternativ: Neben die 2,25 Meter breiten Gehwege 1,50 Meter breite Fahrrad-Schutzstreifen markieren, auf der fünf Meter breiten Fahrbahn könnten sich dann nur noch zwei Autos begegnen, Lkw müssten warten. Ein Umbau des Straßenquerschnitts wäre auch im Straßenabschnitt nach der Unterführung nötig, inklusive der Streichung von Parkplätzen.
Der Landkreis Eichstätt, vertreten von der Radwegbeauftragten Marlen Seurich-Nar, hatte gleich zwei Planfälle mitgebracht, die jedoch weniger komplex waren: eine sichere Radverkehrsführung entlang der Kreisstraße zwischen den Gemeinden Oberdolling und Theißen zum außerorts gelegenen Sportplatz sowie die Querung der Bundesstraße 13 mit über 10.000 Kfz pro Tag an einem schleifenförmigen Knotenpunkt zwischen Pietenfeld und Adelschlag. Für die Lösungsvorschläge des ersten Planfalls wurde die Tatsache genutzt, dass sich zwischen Ortsschild und Sportplatz eine Scheune befindet. Daher lautete ein Vorschlag, das Ortsschild bis hinter die Scheune zu versetzen und den Sportplatz als Spielplatz zu beschildern. Somit wäre in diesem Bereich eine Geschwindigkeitsreduzierung von 100 km/h auf 50 km/h möglich. Für die Querung der B13 lautete ein Lösungsvorschlag, an der nächsten, einfacheren Kreuzung, eine Unterführung für den Radverkehr zu bauen.
Wie kann der Radverkehr in und vor Kreisverkehren sicher geführt werden? Diese Frage taucht bei der Radverkehrsplanung immer wieder auf, so auch in der Stadt Lindau. Hier sind es gleich zwei kurz hintereinander liegende Kreisverkehre am Aeschacher Markt, die Jaime Valdés Valverde Kopfzerbrechen bereiten. Doch der Mobilitätsmanager der Stadt konnte mit hilfreichen Lösungsvorschlägen nach Hause fahren. Zwei davon: Einen der Kreisverkehre abbauen und eine Fußgängerampel sowie durchgehende Schutzstreifen für den Radverkehr installieren sowie eine Reduktion der Fahrbahnbreiten – sowohl bei den Ein- und Ausfahrten in den verbleibenden Kreisverkehr als auch im Kreisverkehr selbst.
Um ein sehr individuelles Problem ging es im Planfall der Gemeinde Pullach. In der Kommune ist der Bundesnachrichtendienst beheimatet, die schnurgerade Straße entlang des Grundstücks mit hohen Mauern ist eine beliebte Strecke für Rennradfahrende. Die bislang gemessene Spitzengeschwindigkeit: 67 km/h. Beflügelt fahren die Sportler in und durch die Ortsmitte, zum Leidwesen anderer Verkehrsteilnehmenden. „Wir haben in regelmäßigen Abständen Schwellen auf die Straße geschraubt, damit die Rennradlerinnen und Rennradler ihr Tempo drosseln müssen, aber sie fahren einfach durch den schmalen Spalt an der Seite vorbei oder springen drüber“, beklagt die Radverkehrsbeauftragte Anna-Lena Fackler. Mit zahlreichen Lösungsvorschlägen im Rucksack – von einer Öffentlichkeits-Kampagne für mehr Rücksichtnahme über slalomartig angeordnete Parkplätze in Wohnstraßen bis hin zu weiteren baulichen Maßnahmen im Ortskern – kann sich Fackler nun an die Politik und die zuständigen Planungsstellen wenden.
Durchweg positives Fazit
„Ich habe mich sehr wohl gefühlt“, konstatierte Pia Lesch in der Abschlussrunde und auch Detlev Gündel lobte die angenehme Arbeitsatmosphäre während der zwei Tage. Andreas Bergmann stellte fest: „Die Planungswerkstatt ist ein gutes Format, um mithilfe der „Schwarmintelligenz“ zu verschiedenen Lösungsansätzen zu kommen.“ Auch von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab es viele positive Rückmeldungen.
Die Vorträge des Experten-Teams können AGFK-Mitglieder in der Infothek des Service-Bereichs auf der AGFK-Homepage herunterladen oder direkt über folgende Links:
Radverkehrsförderung in Ortsmitten
Mini-Kreisverkehre als Element in Fahrradstraßen
Radverkehrsführung an Lichtsignalanlagen an komplexen Knotenpunkten innerorts
(Text und Fotos: AGFK Bayern)