Kempten: Planung, Aus- und Einführung einer Umweltspur

Der Ausschuss für Mobilität und Verkehr der Stadt Kempten (Allgäu) beschloss am 04.05.2021 die Einführung einer Umweltspur auf der Bahnhofsstraße, am 22. Mai 2022 wurde sie für den Verkehr freigegeben. Eine Umweltspur ist ein Sonderfahrstreifen, der ausschließlich für Busse des ÖPNV und zusätzlich für Fahrradfahrer und Fahrradfahrrerinnen freigegeben ist. Dafür wurden auf einer Hauptverkehrsachse vier Fahrspuren auf zwei reduziert. Die Stadtverwaltung setzte damit eine wichtige Maßnahme aus dem „Mobilitätskonzept Kempten 2030“ um.

Umweltspuren in der Bahnhofstraße. Foto: © Stadt Kempten (Allgäu)

Planung

Das Vorhaben wurde im Vorfeld intensiv politisch diskutiert. Für die politische und fachliche Meinungsbildung wurden umfangreiche verkehrliche Untersuchungen durchgeführt, die die weitere Leistungsfähigkeit des Verkehrsraums nachwiesen. Mit einer 3D-Verkehrssimulation konnten die Auswirkungen der Maßnahme auf den Verkehrsfluss den Stadträten und Stadträtinnen anschaulich demonstriert werden. Ebenso wurden Anlieger und der Einzelhandel in die Planung eingebunden. Markus Wiedemann, Leiter Amt für Tiefbau und Verkehr: „Auch mit zwei, anstatt mit vier Fahrspuren wird der Autoverkehr aus dem südlichen Allgäu zu den allermeisten Zeiten komfortabel in die Innenstadt geleitet. In den Spitzenlasten wird es Beeinträchtigungen geben, die wir für eine Verbesserung der Situation für den Umweltverbund in Kauf nehmen.“ Vertreter des Einzelhandels und der Verkehrsbetriebe wurden in den Planungsprozess eingebunden. Der Beschluss im Ausschuss wurde mit acht zu drei Stimmen gefasst.

Die Bahnhofstraße ist eine wichtige Hauptverkehrsachse Kemptens. Sie verbindet den südlichen Stadtrand mit der Innenstadt. Direkt anliegend befindet sich dichte Wohnbebauung, eine Hochschule, ein Berufsschulzentrum, ein großes Einkaufszentrum, diverser Einzelhandel, Gastronomie, Ärztehaus, etc. Täglich nutzen die Strecke ca. 15.000 Fahrzeuge und 400 Linienbusse. Die Spitzenzeiten entstehen durch den üblichen Berufsverkehr. Zu Schulschlusszeiten gibt es außerdem ein hohes Fußverkehrsaufkommen. An Samstagen steuern viele Kraftfahrzeuge aus dem Umland das Einkaufszentrum an.

Der zur Verfügung stehende Verkehrsraum böte, auch mit größeren Umbaumaßnahmen, nicht den Platz, um den Bus- und Radverkehr auf getrennten Wegen zu führen. Dennoch wollte man auf dieser wichtigen Verbindung bessere Bedingungen für die Verkehre des Umweltverbunds schaffen. Ziel der Maßnahme war es erstens den Busverkehr auf seiner Hauptachse zwischen dem zentralen Busbahnhof und dem peripheren Hauptbahnhof zu stärken, zweitens die Hochschule mit einem guten Angebot für Radfahrer an das Radwegenetz anzubinden und drittens die Situation für den Fußverkehr zu verbessern, denn bis zur Ausweisung der Umweltspur mussten Radfahrende im Seitenbereich auf einem zu schmalen Fußweg, der für den Radverkehr freigegeben war, fahren und kamen so in Konflikt mit dem Fußverkehr.

Ausführung

Die Umbaumaßnahmen wurden im Frühjahr 2022 abschnittsweise durchgeführt. Hauptsächlich handelte es sich um Markierungsarbeiten. Zahlreiche weitere Arbeiten flankierten die Maßnahme, wie der Einbau einer Fußgänger-Signalanlage, der Errichtung einer neuen Bushaltestelle, der Ausweisung einer Seitenstraße zur Einbahnstraße und der Installation einer Busbevorrechtigung an der Lichtsignalanlage am Knotenpunkt Albert-Ott-Straße.

Verkehrsrechtlich ist die Umweltspur ein Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245) mit dem Zusatz Radverkehr frei (Verkehrszeichen 1022-10). Zu beachten sind dabei die Ergänzungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO). Voraussetzung für einen Bussonderfahrstreifen ist ein Busverkehrsaufkommen von 20 Bussen des Linienverkehrs pro Stunde. Der Busverkehr wird mit einer durchgezogenen Linie abgetrennt (Zeichen 295). Kann der Radverkehr nicht auf einem gesonderten Radweg oder Radfahrstreifen geführt werden, sollte er im Benehmen mit den Verkehrsunternehmen auf dem Sonderfahrstreifen zugelassen werden. Die Sicherheit des Radverkehrs ist zu gewährleisten. Busse müssen beim Überholen von Radfahrenden den notwendigen Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten, dafür wird eine Fahrbahnbreite von 4,75 Meter benötigt (Empfehlungen für den Radverkehr, Kapitel 3.9). In Kempten ist die Breite des Bussonderfahrstreifens deutlich darunter. Damit die Busfahrer und Busfahrrinnen dennoch möglichst wenig durch vor ihnen fahrenden Radfahrer und Radfahrrinnen gestört werden, werden die Busse an den Lichtsignalanlagen mit einem Vorsignal vor den Radfahrenden in die Busspur geleitet. Außerdem bieten sich den Bussen Überholmöglichkeiten in den Einmündungsbereichen von Nebenstraßen und Anwohnerzufahrten, wo die Begrenzung durch eine gestrichelte Leitlinie erfolgt (Zeichen 340).

Der Busverkehr soll wenig durch ein- und ausparkende Fahrzeuge behindert werden, daher mussten die Querparkplätze zu Längsparkplätze umgebaut werden. Dies reduzierte die Anzahl von Stellplätzen und erzeugte Kritik vom anliegenden Einzelhandel. Im Umfeld konnten aber neue Parkmöglichkeiten geschaffen werden, so dass zwar 17 Stellplätze entfielen, neun aber wieder neu hinzukamen.

Einführung

Feierliche Eröffnung der Umweltspur
Foto: © Stadt Kempten (Allgäu)

Am 22.05.2022 wurde die Umweltspur für den Verkehr freigegeben. Die ersten Monate waren holprig. Baustellen auf gleich zwei parallel verlaufenden Straßen erhöhten das Verkehrsaufkommen deutlich über das normale Maß. Vereinzelt kam es zu längeren Rückstaus, als erwartet. Es war auch zu beobachten, dass die Verkehrsteilnehmer zunächst Probleme mit der neuen Situation hatten. Sechs Unfälle ereigneten sich in den ersten Monaten im Zusammenhang mit der Umweltspur. Meistens waren es rechtsabbiegende Autofahrer, die die Busse auf der rechten Umweltspur übersahen. Es kam zu Kollisionen mit kleineren Personen- und Sachschaden. Die Unfallzahlen gingen dann in den Monaten August, September und Oktober auf null zurück. Für zusätzliche Sicherheit sollen zukünftig großflächige Markierungen in den Knotenpunktbereichen sorgen.

Für Beschwerden durch Anwohner sorgte auch die Einführung einer Sackgasse bei einer Zufahrtsstraße. Diese wurde eingerichtet, um die Verkehrsbeziehungen an einem Knotenpunkt zu reduzieren. Bedenken bezüglich der Leistungsfähigkeit und der schwierigen Wendemöglichkeit für den Schwerlastverkehr und die Erreichbarkeit für Rettungswagen wurden genannt. Gleichzeitig starteten Anwohner aber auch eine Petition für die Beibehaltung der Sackgasse. Vielen gefiel das reduzierte Verkehrsaufkommen und der gesunkene Parkdruck. In Abwägung der verschiedenen Interessen wurde die Sackgasse nur für die Fahrtrichtung „rechts-ausbiegen“ eröffnet.

Nach einem Dreivierteljahr ist das Feedback der Bus- und Radfahrer positiv. Die Busfahrer begrüßen die eigene Spur und die Busbevorrechtigung an der LSA. Den Radfahrenden hat man die Möglichkeit den Seitenraum zu nutzen weiterhin offengelassen. So können sie selbst entscheiden, wo sie sich sicher fühlen. Beide Varianten werden genutzt. Die Parallelstraßen sind seit November 2022 wieder geöffnet, so dass erst seit diesem Datum die Umweltspur unter normalen Bedingungen beobachtet werden kann.

Fazit

Die Umweltspur war eine mutige Maßnahme aus dem „Mobilitätskonzeptes Kempten 2030“, denn sie war in Ihrer Art neu für die Verwaltung, die Planungsbüros, die Politik, die Verkehrsteilnehmer und die Bürger. Sie sorgte in der Stadtgesellschaft für viel kontroversen Gesprächsstoff. Diesen Weg zu gehen, war deshalb für alle Beteiligten eine Belastungsprobe. Mit dem Ergebnis sind wir heute zufrieden. Der Autoverkehr kann weiterhin gut bedient werden – nicht mehr so gut wie zuvor, aber ausreichend. Dafür haben wir eine Verbesserung für den Busverkehr, den Radverkehr und den Fußverkehr erhalten. Ohne mehr von solchen Maßnahmen ist der Wandel, den die Politik der Verwaltung als Auftrag gegeben hat, nicht zu schaffen.