Bozen und Brixen: Vorreiter für Fahrradmobilität

16. Juni 2023 – Mit 35 Teilnehmenden startete am 23. Mai die zweitägige Exkursion der AGFK Bayern nach Bozen und Brixen, darunter Bürgermeister, Landräte und Radverkehrsbeauftragte der Mitgliedskommunen sowie Vertreterinnen und Vertreter des Vorstands der AGFK Bayern sowie weiterer Verbände und Organisationen. Nach Amsterdam im Jahr 2017 und Kopenhagen im Jahr 2019 war dies die dritte Großexkursion ins Ausland. Das Besondere an diesen Studienreisen: Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Mitgliedskommunen können fahrradfreundliche Städte und deren Radinfrastruktur vor Ort erleben, sowie sich untereinander, aber auch mit hochrangigen Politikern sowie Radverkehrsexpertinnen und -experten vor Ort austauschen.

Zweirichtungsradweg in Bozen. ©AGFK Bayern

Zwei unterschiedliche, fahrradfreundliche Städte

Die Wahl auf Bozen und Brixen fiel aus gutem Grund: Die beiden Südtiroler Städte verfolgen zwei interessante Ansätze bei ihrem Ziel, mehr Menschen aufs Fahrrad zu bekommen. Betrachtet wurden nicht nur einzelne, durchdachte Radinfrastrukturlösungen, sondern vor allem die Dynamik in der Radverkehrsförderung als Ganzes. Interessante Themen waren außerdem die Grenzen von Infrastruktur sowie Möglichkeiten für den Radverkehr im hügeligen Raum.

Bozen: Italiens Spitzenreiterin

Seit Jahrzehnten arbeitet die Hauptstadt Südtirols daran, das Radfahren in der Stadt attraktiver und sicherer zu machen. Das Ergebnis: Rund 70 Kilometer lang ist heute das durchgängige Radnetz im städtischen Umkreis von Bozen, das auf acht beschilderten Haupt- und zahlreichen Nebenrouten verkehrsfrei an den Flüssen Eisack und Talfer entlangführt, Wohngebiete erschließt und in der autofreien Altstadt mündet. Die primäre Führungsform ist einseitige Zweirichtungsradwege. Radzählstellen, Informationsschilder und Fahrrad-Pumpstationen vervollständigen das preisgekrönte Radnetz.

Darüber hinaus hat die Gemeinde einen öffentlichen Fahrradverleih und die Mobile Werkstatt für kostenlose Reparaturen von Privatfahrrädern eingerichtet, die Verkehrserziehung auf zwei Rädern in Schulen initiiert, verschiedene Veranstaltungen wie den Bozner Radtag, Sensibilisierungskampagnen, Initiativen wie “Bolzano Sostenibile – Nachhaltiges Bozen” und vieles mehr gefördert. Für ihren hohen Grad an Fahrradfreundlichkeit erhielt Bozen 2023 zum fünften Mal in Folge die Auszeichnung Comune Ciclabile“, verliehen vom FIAB (Federazione Italiana Ambiente e Bicicletta – Italienischer Verband der Fahrradfreunde) in Form einer „Gelben Fahne“.

Auszeichnung für die Stadt Bozen – zum fünften Mal in Folge.

Kein Wunder also, dass fast ein Drittel aller rund 106.000 Boznerinnen und Bozner ihre alltäglichen Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Doch trotz hoher Investitionen in die Radinfrastruktur stagnieren die Zuwachsraten an Fahrradfahrenden momentan. Wie lässt sich ihr Anteil weiter erhöhen? Hier lohnt sich vielleicht ein Blick nach Brixen.

Unattraktiv für Autos

Die von Bozen rund 40 Kilometer entfernte Kleinstadt mit knapp 22.000 Einwohnern greift bereits mehr als Bozen in den Autoverkehr ein und sorgt dafür, dass Autofahren an einigen Stellen ungemütlicher wird – und Radfahren attraktiver. Der innerstädtische Verkehr wurde auf eine Umgehungsstraße ausgelagert, ein Vorankommen für PKW auf der bisherigen innerstädtischen Hauptverkehrsverbindung ist dank „roter Welle“ bezüglich der Ampelschaltungen mühsam. Zudem gibt es eine flächendeckende Geschwindigkeitsreduzierung im innerstädtischen Bereich.

Dadurch ergaben sich Möglichkeiten für die Neugestaltung von Räumen. Ein Beispiel: In dem Gebiet „Kleiner Graben – Regensburger Allee“ entstand eine Begegnungszone nach dem „shared space-Prinzip“, in dem der Fuß- und Radverkehr aufgewertet wurde, der motorisierte Verkehr ist nur Gast. Die niveaugleiche Pflasterung von Fahrbahn und Gehsteigen ermöglicht irgendwann einmal bei Bedarf die Nutzung als reine Fußgängerzone.

Komfortabel, gesund und günstig zur Arbeit

Für die Teilnehmenden der Exkursion war auch interessant zu erfahren, wie eine Gemeinde bei der Radverkehrsförderung mit topografischen Herausforderungen umgeht. Brixen liegt in einem Talkessel 45 Kilometer südlich des Brennerpasses, weite Teile des Gemeindegebietes sind hügelig. Eine der Lösungen: ebike2work. Brixner Pendlerinnen und Pendler, die sich für den Weg zur Arbeit fürs Radeln statt Autofahren entscheiden, können ein von der Stadt zur Verfügung gestelltes E-Bike drei Jahre lang für 200 Euro pro Jahr nutzen. 380 Autofahrten pro Tag konnten somit bisher ersetzt werden.

Praxis und Theorie

Nicht nur ein Erleben vor Ort dank gut geplanter Fahrradrouten durch die beiden Städte bot die Exkursion, eingeladene Expertinnen und Experten vermittelten auch theoretisches Wissen. Zum Programmstart am 23. Mai erhielten die Teilnehmenden durch Dr. Ing. Brunella Franchini vom Bozner Amt für Mobilität sowie Stadtrat Stefano Fattoreinen Einblick in die Strategien, Schwerpunkte und Herausforderungen der Radverkehrsförderung in Bozen. Anschließend startete unter Begleitung von Franchini und dem Programmverantwortlichen Patrick Kofler von der Agentur Helios die Radtour auf Leih-Fahrrädern zu ausgewählten Infrastrukturbeispielen.

V. li.: Patrick Kofler, Dr. Ing. Brunella Franchini und Landrat Matthias Dießl, Vorsitzender der AGFK Bayern.

Am Nachmittag begrüßte Daniel Alfreider, Landesrat für Ladinische Bildung und Kultur, Infrastruktur und Mobilität, die Gäste, bevor sie sich in Vorträgen von Harald Reiterer und Olivia Kieser von GreenMobility zu verschiedenen Radmobilitätsthemen in Südtirol informieren konnten. Nach der Rückfahrt ins Hotel in Brixen ließen die Teilnehmenden den ersten Tag mit einem gemeinsamen Abendessen und anregenden Gesprächen rund um das Erlebte ausklingen.

Daniel Alfreider, Landesrat für Ladinische Bildung und Kultur, Infrastruktur und Mobilität, begrüßte die Gäste

Der zweite Tag führte durch Brixen, eingeleitet durch Vorträge von Gerold Siller, Gemeinderatspräsident, und Alexander Gruber, Leiter des Amtes für öffentliche Arbeiten, zur Fahrradmobilität in Brixen, dem Projekt „eBike2Work“ sowie dem Radverkehrsplan Brixen. Im Anschluss daran konnte die bayerische Delegation per E-Bike hautnah modellhafte Infrastrukturprojekte der Gemeinde erfahren, etwa die oben beschriebene shared-space-Zone – eine innovative Lösung im Vergleich zum Zweirichtungsradweg in Bozen. Mit vielen Eindrücken im Gepäck trat die bayerische Delegation am Nachmittag die Heimreise an.

(Text und Fotos: AGFK Bayern)

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Die Präsentationen der Referenten können Sie unter folgenden Links herunterladen: